Bereits seit knapp einem Jahr ist der ärztliche Bereitschaftsdienst in Baden-Württemberg eingeschränkt. Nun müssen sich die Bürgerinnen und Bürger wohl auf weitere Schließungen einstellen. Eine schwere Erkältung, starke Bauchschmerzen oder eine kleine Schnittwunde: Wenn Patientinnen und Patienten außerhalb der Sprechzeiten ihres Hausarztes bei Beschwerden Hilfe brauchen, ist die Notfallpraxis die richtige Anlaufstelle. Künftig müssen Patienten in Teilen Baden-Württembergs möglicherweise längere Fahrzeiten in Kauf nehmen.
Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) will nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur die Zahl der Notfallpraxen im Südwesten weiter verringern. Demnach geht es um 17 weitere Standorte. Acht Praxen hatte die KVBW bereits im Laufe des Jahres dauerhaft geschlossen.
Wie die dpa erfuhr, soll künftig die Regelung gelten, dass mindestens 95 Prozent der Menschen im Südwesten innerhalb von 30 Fahrminuten eine Notfallpraxis erreichen können. Alle anderen sollen maximal 45 Minuten fahren müssen.
Die Kassenärztliche Vereinigung wollte sich zu den geplanten Schließungen zunächst nicht äußern. Man werde die Pläne demnächst vorlegen, sagte ein Sprecher. Er verwies auf eine Pressekonferenz, die für den 21. Oktober geplant ist. Vorher werde man keine konkreten Angaben machen. Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums teilte mit, man stehe mit der KVBW im Austausch. Grundsätzlich gelte, dass es Aufgabe der KVBW sei, den ärztlichen Bereitschaftsdienst sicherzustellen. «Die KVBW hat sich zu einer umfassenden Reform des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes entschieden und möchte dadurch nach eigener Angabe die haus- und fachärztliche ambulante Regelversorgung stabilisieren», sagte die Sprecherin.
Scharfe Kritik an den Plänen äußerte die SPD im Landtag. Andreas Kenner aus dem Wahlkreis Kirchheim teilt mit, dass nach den Plänen der KV auch die Kirchheimer Notfallpraxis geschlossen werden soll. Für ihn ist dies in einer immer älter werdenden Gesellschaft „ein Unding“. Wenn in Zukunft alle Patientinnen und Patienten aus Kirchheim und seinem großen Umland die Notfallpraxen in Nürtingen, Esslingen oder Göppingen aufsuchen müssten, käme es dort, so Andreas Kenner zu kaum noch zumutbaren Wartezeiten. Außerdem müssten die Betroffenen erstmal dort hinkommen, was ohne Auto abends und am Wochenende je nach Wohnort ein Problem ist. Für den gesundheitspolitischen Sprecher der SPD Landtagsfraktion, Florian Wahl, wäre das „ ein nie dagewesener Kahlschlag in der ambulanten Versorgung in Baden-Württemberg“.
Für ihn stehe die Frage im Raum, ob die KVBW so ihren gesetzlichen Auftrag erfülle. Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) müsse tätig werden, so Wahl. «Sozialminister Lucha hat die Rechtsaufsicht über die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg und muss unmittelbar einschreiten, den KV-Vorstand einbestellen und den unverzüglichen Stopp dieser Pläne einfordern.» Auch Patientenschützer forderten ein Einschreiten Luchas. «Er ist zuständig, dass in Baden-Württemberg eine flächendeckende Versorgung mit Notfallpraxen zu realisieren ist, die auch erreichbar sind», sagte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz mit Sitz in Dortmund. Es wundere ihn sehr, dass Lucha so tue, als wäre er in der Frage ein Unbeteiligter.
Andreas Kenner sieht eine Hauptproblematik der Pläne der KVBW wie sein Kollege Michael Preusch, dem gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion darin, dass sich die Schließung weiterer Notfallpraxen auf die Notaufnahmen der Kliniken auswirken könnte. Ihre große Sorge ist, dass die Kliniken bei einem Ansturm von Patienten Probleme haben könnten schwer kranke Patienten von weniger kranken Patienten zu unterscheiden. Michael Preusch ist selbst Arzt und arbeitet neben seinem Landtagsmandat immer noch in einer großen Klinik.
Andreas Kenner und Florian Wahl von der SPD fordern einen Stopp der Schließungspläne der KVBW und erwarten ein zukunftsfähiges Konzept der Notfallversorgung in Baden-Württemberg, das einer älter werdenden Gesellschaft gerecht wird.