Zuschüsse für die Flüchtlingshilfe in den Ländern und Kommunen

Offener Brief von Andreas Kenner MdL an den Bundesfinanzminister Olaf Scholz

Sehr geehrter Herr Finanzminister Scholz, lieber Olaf,

als langjähriger Stadtrat in Kirchheim unter Teck und Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg weiß ich, wie kontrovers über Haushaltsentwürfe diskutiert wird. Ebenfalls kenne ich „das Spiel“, dass alle Verständnis für eine sparsame Haushaltsführung zeigen, allerdings immer für die eigenen Anliegen beim besten Willen keine Möglichkeit für Kürzungen sehen. So habe ich mir auch reiflich überlegt, ob ich Dir bezüglich der angekündigten Mittelkürzungen für die Flüchtlingshilfe in den Ländern und Kommunen schreiben soll.

Jeder der 2015 – 2016 – 2017 in den Landkreisen oder Kommunen Verantwortung trug war damals bis an die Grenzen des Leistbaren gefordert. Eine Million zu uns geflüchteter Menschen wurden aufgenommen und nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt. Für die Landkreise, Städte und Gemeinden war dies eine Herkulesaufgabe. Sporthallen, alte Fabrikgebäude, leerstehende Hotels und bebaubare Flächen wurden unter Hochdruck als Unterkünfte für die Erstaufnahme hergerichtet. Städtische Verwaltungen, Stadt- und Gemeinderäte und ehrenamtliche Helfer sahen und sehen sich massiven Anfeindungen von Teilen der Anwohnerschaft, in deren Umfeld solche Gebäude erstellt wurden, ausgesetzt. Viele sehr emotionale Debatten wurden geführt und bis heute sind nicht alle befriedet.

Die Städte und Gemeinden haben mit Hilfe engagierter Bürgerinnen und Bürger in puncto Integration Großartiges geleistet. Zahlreiche mittelständische Betriebe haben viel Zeit investiert und bürokratische Hürden in Kauf genommen, um Arbeitsplätze für Geflüchtete zu schaffen. In Baden-Württemberg leisten IntegrationsmanagerInnen hervorragende Arbeit, die ganz sicher in den nächsten Jahren fortgesetzt werden muss, wenn der Ausspruch der Bundeskanzlerin „Wir schaffen das“ Wahrheit werden soll.

Wir alle wissen, dass die geflüchteten Menschen nicht für die in Deutschland herrschende Wohnungsknappheit verantwortlich sind. Verschärft hat der Zuzug von über einer Million Menschen in kürzester Zeit die Situation allemal. Städte und Gemeinden stehen vor der Herausforderung in den nächsten Jahren den Wohnbau massiv fördern zu müssen und das bei teuren und knappen Flächen in den Ballungsräumen. Niemand kann genau voraussehen, wie viele Menschen durch den Familiennachzug in nächster Zeit zu uns kommen werden. Das relativiert die Vorhersage, dass die Zahl der zu integrierenden Menschen abnehmen wird. Zwar kommen derzeit weniger Geflüchtete zu uns, dennoch gilt es die bereits bei uns lebenden Menschen zu intergieren.
Dies bedeutet weiterhin große Anstrengungen, die bei allem ehrenamtlichen Engagement auch entsprechender finanzieller Mittel bedürfen.
In Anbetracht der Tatsache, dass ca. 70% der BundesbürgerInnen der Meinung sind, dass die Bundesregierung das „Flüchtlingsproblem“ nicht  im Griff hat, sollte man den Handlungsspielraum der Kommunen nicht durch gravierende Mittelkürzungen einschränken. Wenn vor Ort wichtige Investition in den Bereichen Bildung, Soziales, Infrastruktur, Sport, Kultur usw. nicht getätigt werden können, weil hohe Aufwendungen für die Integration zu erbringen sind, werden wir die Akzeptanz großer Teile der Bevölkerung für diese Politik verlieren.

Ich selbst argumentiere in Stadt und Land immer damit, dass der Bund die Kommunen bei der Bewältigung der großen Aufgabe Integration entsprechend unterstützt und wir vor Ort nicht im „Regen stehen gelassen werden“. Die Integration der Menschen, die seit 2015 gekommenen sind, wird noch mindestens ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen. Länder und Kommunen sind auf die finanzielle Unterstützung des Bundes angewiesen. Wenn dies nicht geschieht, stehen wir vor einer unguten Zukunft, wie die Regionalwahlen in den Niederlanden gezeigt haben.
Ich wünsche Dir und dem gesamten Kabinett gute Haushaltsberatungen und eine glückliche Hand für die richtigen Entscheidungen.

Mit freundlichen Grüßen
Glück Auf
Andreas Kenner MdL